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Kreuzseephase in prototypischem Modell selbstangetriebener Teilchen entdeckt

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Viele Tiere, Roboter, Bakterien oder Mikroschwimmer können als selbstangetriebene Teilchen modelliert werden. Das einfachste und zugleich bekannteste Modell für solche wechselwirkenden aktiven Teilchen, das Vicsek Modell, wird auch als prototypisches Modell der aktiven Materie angesehen. Bisher waren für dieses Modell drei Phasen bekannt: Eine ungeordnete Phase, eine Phase aus Dichtewellen, bei denen die Geschwindigkeiten der Teilchen in Bereichen großer Dichte in hohem Maße ausgerichtet sind, sowie eine räumlich homogene Phase, bei der die Geschwindigkeiten aller Teilchen stark ausgerichtet sind.

Wissenschaftler der AG Theorie weicher Materie entdeckten nun eine vierte Phase, welche auf den ersten Blick an eine Kreuzsee erinnert [1]. Dabei handelt es sich um ein Phänomen im Meer bei dem sich Wellen aus zwei verschiedenen Richtungen überlagern. Im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch nicht um eine einfache Überlagerung zweier Wellen, sondern um ein komplexes, selbstorganisiertes Muster, welches erst für recht große Systeme mit ca. einer Million Teilchen auftritt.

Zur Untersuchung der verschiedenen Phasen des Vicsek Modells wurde unter anderem eine neuartige Korrelationsanalyse entwickelt[2]. Viele theoretische Beschreibungen von Vielteilchensystemen verwenden sogenannte Molekularfeldnäherungen.
Dabei wird die Wechselwirkung eines jeden Teilchens mit allen anderen Teilchen ersetzt durch die Wechselwirkung mit einem Molekularfeld. Dieses Feld repräsentiert dabei eine Mittelung über alle Teilchen.
Mathematisch betrachtet man den Zustand eines jeden Teilchens als unabhängige Zufallsvariablen, deren statistische Eigenschaften nur von einem oder einigen wenigen Parametern, die durch das Molekularfeld geprägt sind, abhängt.

Tatsächlich hängt das Schicksal eines jeden Teilchens allerdings nicht nur vom mittleren Verhalten aller anderen Teilchen ab, sondern in komplexer Weise von der konkreten Anordnung der weiteren Teilchen.
Im mathematischen Modell der Zufallsvariablen führt dies zu Korrelationen zwischen den Teilchen, sie sind also nicht mehr als unabhängige Zufallsvariablen anzusehen.
Die Anwendbarkeit von Molekularfeldnäherungen wird also durch die Stärke der Korrelationen entschieden.
Sind Korrelationen vernachlässigbar, führen Molekularfeldnäherungen zu belastbaren Resultaten.
Sind die Korrelationen jedoch stark, können neue, interessante Effekte auftreten.

Wissenschaftler der AG Theorie weicher Materie haben effiziente Algorithmen zur Messung der Korrelationsstärke auf relevanten Längenskalen entwickelt [2].
Dabei wird insbesondere auch die Art der Korrelationen berücksichtigt.
So kann beispielsweise die Stärke von Paarkorrelationen, Dreiteilchenkorrelationen, Vierteilchenkorrelationen, etc. quantifiziert werden.
Damit lassen sich Vorhersagen treffen, welche Korrelationsarten in einer quantitativ korrekten Theorie berücksichtigt werden müssen.

Publikationen:
[1] 'Dry Active Matter Exhibits a Self-Organized Cross Sea Phase' Phys. Rev. Lett. 125, 188003 (2020), doi.org/10.1103/PhysRevLett.125.188003
[2] 'Multiple Particle Correlation Analysis of Many-Particle Systems: Formalism and Application to Active Matter', Phys. Rev. Lett. 124, 088002 (2020), doi.org/10.1103/PhysRevLett.124.088002

Ansprechpartner:
Dr. Rüdiger Kürsten
Prof. Dr. Thomas Ihle
Institut für Physik der Universität Greifswald
Felix-Hausdorff-Str. 6
17487 Greifswald
ruediger.kuersten@uni-greifswald.de
thomas.ihle@uni-greifswald.de


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